Eine lange Geschichte von Abwasser und Klärschlamm

Eine lange Geschichte von Abwasser und Klärschlamm
Abwasserreinigungsanlage Dornbirn-Schwarzach Foto: Hanno Thurnher

Am 19. November 2025 gab es Medienberichte, dass Vorarlberg mit seinem Projekt zur Verbrennung des Klärschlamms um Jahre zurückgeworfen sei: Die Gemeinde Meiningen sprach sich gegen eine Verbrennungsanlage auf Meininger Gemeindegebiet aus. Als Hauptgrund wurden gesundheitliche Bedenken angegeben.

In Meiningen befindet sich die größte Kläranlage Vorarlbergs, sie verfügt in ihrem Umfeld über Flächenreserven - zwei gute Argumente für einen Standort Meiningen. Doch von Anfang an - klären wir zunächst ein paar grundlegende Fragen:

Warum Klärschlamm überhaupt verbrennen? Er wurde doch stets als Dünger in der Landwirtschaft verwendet?

Zwar ist der Gehalt an Schwermetallen im Klärschlamm zurückgegangen, doch enthält er die folgenden gesundheitsschädlichen Schadstoffe: Mikroplastik, Industriechemikalien, Medikamente und PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen). Durch die Verbrennung bei hohen Temperaturen werden diese Schadstoffe zerstört und unschädlich gemacht. Das Abgas wird gefiltert, aus dem Kamin kommen praktisch „nur“ CO2 und Wasserdampf. Abgesehen von den gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen, gibt die Abfallverbrennungsverordnung 2024 vor, dass alle Kläranlagen ab 20.000 Einwohnerwerten, also alle kommunalen Anlagen in Vorarlberg, ihren Klärschlamm verbrennen (lassen) müssen.

Wie kann Klärschlamm, der doch wässrig ist, überhaupt verbrannt werden?

Der Vorarlberger Klärschlamm enthält tatsächlich nur 23% Trockensubstanz und 77% Wasser. In einer klassischen Wirbelschichtverbrennung kann Klärschlamm mit etwa 33% Trockensubstanz verbrannt werden. Damit ein brennfähiger Klärschlamm mit 33% Trockensubstanz entsteht, wird ein Teil der erzeugten Wärme zur Vortrocknung genutzt. Aus dem Verbrennungsprozess resultiert ein großer Überschuss an Wärme, die z.B. in ein Nahwärmenetz eingespeist oder als Prozesswärme in der Industrie verwendet werden kann. Auch eine Dampfturbine zur Stromerzeugung kann betrieben werden.

Was ist mit dem Phosphor im Klärschlamm? Zumindest den brauchen wir zum Düngen!

Ja, deshalb gilt ab 1.1.2033, dass zumindest 80% des im Klärschlamm enthaltenen Phosphors zurück gewonnen werden muss. Technische Verfahren dafür gibt es, ob diese wirtschaftlich sind, hängt von den Weltmarktpreisen für Phosphor ab. Die phosphorhaltige Asche aus Klärschlammverbrennungsanlagen wir teilweise schon deponiert, um später den Phosphor daraus gewinnen zu können. Es werden jedoch auch andere industrielle Verfahren entwickelt, um Klärschlamm in nützliche Stoffe umwandeln zu können, z.B. FlashPhos mit österreichischer Beteiligung und Grundideen aus Vorarlberg. Auch die Hydrothermale Carbonisierung ist eine interessante Technologie.

ARA Dornbirn-Schwarzach: In der Bildmitte das Pumpwerk, das die Abwässer auf ein Niveau bringt, das in der Folge einen Durchlauf per Schwerkraft ermöglicht

Warum lassen wir den Vorarlberger Klärschlamm nicht in einer großen Verbrennungsanlage, z.B. in Wien Simmering, verbrennen? Das ist doch wirtschaftlicher.

Auch das ist eine denkbare Möglichkeit. Bisher verwertet Vorarlberg jedoch keine einzige Abfallfraktion selbst. Alle Abfälle werden exportiert, weshalb wir von den Marktpreisen der Entsorgungsunternehmen abhängig sind: Restabfall wird in der Kehrichtverbrennungsanlage Buchs verbrannt. Altpapier wird in Oberösterreich verwertet. Der Gelbe Sack mit Kunststoff-, Metall- und Verbundstoffen wird von der Altstoff-Recycling-Austria ebenfalls außer Landes gebracht, ebenso wie unser Glas, das von der AGR Austria Glas Recycling in Ober-, Niederösterreich oder in der Steiermark eingeschmolzen wird. Organische Abfälle sind in Vorarlberg stark durch Plastik verunreinigt und verursachen dadurch überall erhebliche Probleme in den Biogasanlagen. Ein Entsorgungspartner in Baden-Württemberg verbringt unseren Bioabfall mittlerweile nach Niederösterreich. Das Land Vorarlberg führt daher folgende Argumente für eine regionale Verbrennung ins Treffen:

  • Entsorgungssicherheit
  • Einhaltung des Prinzips der Nähe
  • Kostenminimierung und
  • Entsorgungsautarkie

Wenigstens den Klärschlamm, der abfallrechtlich als Abfall zu bewerten und zu verbrennen ist, in Vorarlberg zu Wärme, Gas und Asche zu verwandeln, wäre also ein erster wichtiger Schritt.

Wenn Meiningen keine Verbrennungsanlage will - wo sonst könnte eine errichtet werden?

Das ist eine gute Frage. Die Kläranlage für die Region Bludenz, die in Ludesch nahe der Bahn und nahe der Autobahn liegt, wäre eine Möglichkeit. Die ARA Dornbirn-Schwarzach kommt grundsätzlich auch in Frage. Ein Hindernis ist die eher geringe Menge an Klärschlamm aus Vorarlberg, um eine Verbrennung wirtschaftlich betreiben zu können. Schert nur ein Abwasserverband aus, rechnet es sich nicht mehr. Dann müsste Klärschlamm z.B. aus dem Schweizer Rheintal importiert werden.

ARA Dornbirn-Schwarzach: Links die Belebungsbecken (biologische Reinigung)

Was passiert überhaupt in einer Kläranlage?

In den Kläranlagen landet alles, was das Kanalsystem abtransportiert: Nur ein kleiner Teil dessen, was in der ARA landet, sind reinigungsbedürftige Abwässer. Auch Regenwasser von Dächern und asphaltierten Flächen, Grundwasser (Eintritt über beschädigte Kanalrohre) und alles, was auf Straßen herum liegt (Plastiktüten, Zigarettenstummel, Taschentücher etc.) landet in der ARA. Die sogenannten Fremdwässer verusachen Kosten in der Kläranlage, für die keine Gebühr verrechnet werden kann. Auch fehlt Regenwasser, das in Kanälen abgeleitet wird, im Grundwasser. Knapp 13 Millionen Kubikmeter wurden 2024 durch die ARA geschleust, fast 10 Millionen Kubikmeter waren Fremdwässer. (Alle Zahlen im folgenden Text beziehen sich auf die ARA Dornbirn-Schwarzach).

Kurz gesagt gibt es drei Reinigungsstufen, ab 2033 muss die ARA Dornbirn-Schwarzach mit ihrer Größe von 150.000 Einwohnerwerten eine vierte betreiben:

  1. Mechanische Reinigung
  2. Biologische Reinigung
  3. Chemische Reinigung
  4. Vierte Reinigungsstufe für Mikroschadstoffe

In der mechanischen Reinigung werden mittels Rechen (5mm Spaltbreite) grobe Stoffe (Äste, Blätter, Plastiksäcke, Dosen...) entfernt, in einem Absetzbecken Sand abgeschieden sowie Feuchttücher mühsam ausgefischt. Feuchttücher gehören in den Restmüll, denn in der Kläranlage verursachen sie zusätzliche Kosten.

Feuchttücher gehören nicht in die Toilette! Sie werden bei der mechanischen Reinigung mit dem Rechen herausgefischt und müssen separat entsorgt werden. Etwa ein Abfall-Container voller Feuchttücher pro Wochenende wird in Dornbirn und Schwarzach fälschlicherweise weggespült. (Foto: Dornbirner Grüne)

In der biologischen Reinigung (Belebungsbecken) arbeiten verschiedene Bakterienarten daran, pflanzenverfügbaren Stickstoff (Ammoniak, Ammonium, Harnstoff) in mineralischen Stickstoff (N2) umzuwandeln. Auch organischer Kohlenstoff wird abgebaut. Dazu braucht das Abwasser eine Mindesttemperatur von 12°C und die Bakterien benötigen sehr viel Sauerstoff für ihre Arbeit, den sie über Belüftungsteller im Belebungsbecken zugeführt bekommen. Dafür hat die ARA 2024 1,6 Millionen Kilowattstunden Strom verbraucht (122.000 kWh wurden mittels PV-Anlage selbst erzeugt). In einem Nachklärbecken wird der Schlamm von der flüssigen Phase abgetrennt, teils ins Belebungsbecken rückgeführt, um die Bakterienkultur zu stabilisieren, teils in die Faultürme gepumpt. In den Faultürmen wird der Schlamm bei 38°C zu Klärgas (Methan, CO2) und zu stabilisiertem Klärschlamm verarbeitet. Der Klärschlamm wird danach mechanisch entwässert und zur Verbrennung abgeführt.

In der chemischen Reinigungsstufe wird der Phosphor mittels chemischer Fällung mit Eisensulfat von einer im Wasser gelösten in eine unlösliche Form umgewandelt, als Schlamm abgezogen und weiterverarbeitet.

Nach dem Durchlauf weiterer Absetzbecken entlässt die ARA ihr Abwasser in den Karlsgraben. Die Konzentration von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor, welche die Gewässer durch Überdüngung zum "Kippen" bringen könnten, ist durch die Wasseraufbereitung unter die vorgeschriebenen Werte abgesunken.

Die gesamte Prozedur wird von den Dornbirner und Schwarzacher Bürger:innen bezahlt, die dafür um die 4 Millionen Euro im Jahr aufwenden, also rund 65 Euro pro Person und Jahr. Darin sind auch Investitionen für technische Verbesserungen enthalten. Vor wenigen Tagen wurde z.B. die Trocknungsanlage für Klärschlamm abgeschaltet - ein Energiefresser. Im kommenden Jahr werden in der ARA Blockheizkraftwerke den Betrieb aufnehmen, die das erzeugte Klärgas in Strom und Wärme umwandeln werden. Dadurch werden die Energiekosten und der CO2-Abdruck sinken.